…denn sie wollen nicht wissen was sie tun. Menschenrechtliche Unternehmensverantwortung in der Kobaltlieferkette

Im Rahmen der diesjährigen Friedensdekade hatte in Zusammenarbeit mit der VHS Main-Kinzig die Amnesty International Gruppe Gelnhausen am 11.11.21 zu einer online–Vortragsveranstaltung eingeladen, die die Problematik der Einhaltung der Menschenrechte entlang von Lieferketten am Beispiel der Kobaltvermarktung verdeutlichen sollte. Zu diesem Thema und den Forderungen von Amnesty International referierte Antonia Klein. Sie ist Physikerin und seit 2014 ehrenamtlich in der Amnesty-Koordinationsgruppe Kongo/Uganda zur Demokratischen Republik Kongo aktiv….

In ihrem eindrücklichen Vortrag über die Gewinnung und Vermarktung von Kobalterz zeigte sie massive Menschenrechtsverletzungen in der DR Kongo auf. Nach einer einführenden Vorstellung der historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse dieses Staates schilderte sie die unvorstellbar schlimmen Bedingungen, unter denen Minenarbeiter dort Kobalt abbauen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Die Geschichte des Kongo ist gezeichnet von brutaler Ausbeutung: Ab 1885 war das Land Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. 1960 wurde der Kongo unabhängig, sein erster Premier Lumumba, der die Herrschaft korrupter Eliten abschaffen wollte, wurde ein halbes Jahr nach Amtsantritt mithilfe der CIA ermordet. Die USA fürchteten um ihren Zugriff auf Kupfer. Die danach folgenden Herrscher Mobutu, Laurent Kabila und dessen Sohn Joseph Kabila hinterließen dem seit kurzem regierenden Felix Tshisekedi ein von Korruption, Gewalt und Ausbeutung gekennzeichnetes Land, dessen Rohstoffreichtum der Mehrheit der Bevölkerung auch heute noch nicht zugutekommt.

Kobalt wird im Kongo sowohl industriell als auch in handwerklichem Kleinbergbau abgebaut. Der industrielle Kobaltabbau, der in Lizenz von großen Bergbauunternehmen aus den Industriestaaten betrieben wird, bietet wenige Arbeitsplätze. Die Kommunen profitieren kaum. Er vernichtet landwirtschaftliche Flächen und zerstört die Umwelt. Die Vergabe der Schürflizenzen unterliegt der Korruption. So haben z.B. die Paradise Papers die systematische Bereicherung des Kabila Klans entlarvt.

Der handwerkliche Kleinbergbau entwickelte sich in den 90er Jahren. Die Arbeit ist extrem hart und gefährlich. Die Not der armen Bevölkerung zwingt die Menschen dazu, in nicht abgesicherten tiefen Schächten nach dem Mineral zu suchen. Sie müssen für die Grabungslizenzen zahlen oder sie suchen illegal ohne Lizenzen nach dem Metall. In beiden Fällen arbeiten sie teilweise mit bloßen Händen oder primitiven Werkzeugen und ohne Sicherheitsvorkehrungen. Sie haben kein technisches Training, keine ausreichende Schutzkleidung, keine geeigneten Arbeitsgeräte und auch keine Atemschutzmasken, die sie vor dem giftigen Staub bewahren. Etwa 2 Millionen Menschen riskieren täglich ihr Leben, nur um sich und ihre Familien ernähren zu können.

 

Kinderarbeit ist gang und gäbe, ca. 40.000 Kinder schürfen das Erz, um sich auf diese Weise zum Beispiel das Schulgeld zu verdienen und ihre Familien zu unterstützen. Viele Kinder verlieren ihre Eltern aufgrund der zahlreichen Unfälle, bei denen die Menschen in den kollabierenden Schächten verschüttet werden. Oft können die Toten nicht einmal geborgen werden.

 

 

Das so abgebaute Kobalt wird zu Dörfern und Sammelplätzen gebracht, wo meist chinesische Händler das Mineral aufkaufen und nach China liefern. Dort wird es weiterverarbeitet und schließlich nach Japan, in die EU und die USA exportiert.

Kobalt ist ein Kernbestandteil der Lithium-Ionen-Akkus, die in fast allen Elektronikgeräten verbaut werden, die wir täglich benutzen, seien es Computer, Handys, Laptops und zunehmend auch Elektroautos. Auf dem Weltmarkt wächst die Nachfrage nach dem Mineral ständig. Der Kongo besitzt, abgesehen von seinem Reichtum an Diamanten, Kupfer, Gold, Uran und Erdöl, mehr als die Hälfte der weltweit geschätzten Kobaltreserven von 7 Millionen Tonnen. Der Umfang der Förderung und die Preise sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen. Wäre dies nicht eine großartige Möglichkeit, der gesamten Bevölkerung des Landes Entwicklung und Wohlstand zu bringen?

Internationale Standards, die Unternehmen eigentlich zur Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferketten einzuhalten hätten, werden jedoch eklatant verletzt. Auch für den Weg vom Erzabbau im Kongo bis zum Akku im Elektroauto in Deutschland ist das der Fall. Um ihrer Sorgfaltspflicht zu genügen, müssten Unternehmen Risiken für die Einhaltung der Menschenrechte identifizieren, um dann wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Amnesty International fordert daher dringend rechtsverbindliche Festsetzungen. Die 2011 formulierten, unverbindlichen UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die die Unternehmensverantwortung bei internationalen Operationen einfordern wie auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen reichen bei weitem nicht aus und stellen auch nicht mehr dar als eine Orientierungshilfe, um verantwortliche Lieferketten für Mineralien, die aus Konflikt- und Hochrisikogebieten stammen, anzustreben. An rechtsverbindlichen Regelungen, so erläuterte Antonia Klein, seien lediglich der Dodd-Frank Act der USA (DFA) v. 22.08.2012 zu nennen sowie die EU-Konfliktmineralien-Verordnung, die seit dem 01.01.2021 in Kraft getreten ist. Sie soll die Finanzierung von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Konflikt- und Hochrisikogebieten eindämmen. Für EU-Importeure werden seither Prüfpflichten entlang der Lieferkette verbindlich, jedoch nur für die als Konfliktmineralien eingestuften Erze Zinn, Tantal und Wolfram sowie für Gold (sog. 3TG; engl.: tin, tantalum, tungsten, gold)

Das in Deutschland inzwischen verabschiedete sog. Lieferkettengesetz (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten v. 16. Juli 2021) tritt erst im Jahr 2023 in Kraft, wird jedoch von Amnesty International und anderen Menschenrechts-und Umweltorganisationen bereits als zu schwach in seinen Wirkungen kritisiert, da z.B. keine zivilrechtliche Haftung vorgesehen ist, Umweltzerstörungen nicht genug berücksichtigt werden, nur große Unternehmen in die Pflicht und nicht die gesamten Lieferketten in den Blick genommen werden.

Amnesty-Protestaktion vor dem Gelände der Hannover Messe am 31. März 2019 © Amnesty International, Foto: Janto Trappe

Amnesty International fordert vielmehr eine Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes in einer Weise, die den Schutz der Menschenrechte voll umfänglich berücksichtigt, indem alle Phasen der Wertschöpfung wie Rohstoffgewinnung und Produktion, aber auch Vertrieb und Export mit einbezogen werden.

Auf EU-Ebene soll auf Aufforderung des EU-Parlaments noch im Dezember dieses Jahres eine Gesetzesvorlage zu einem starken EU-Lieferkettengesetz von der EU-Kommission erarbeitet werden. Nur bedingt kann dabei das deutsche Lieferkettengesetz als Muster dienen, da die Menschenrechtsstandards in ihm viel zu gering gesetzt sind.

Bereits im Januar 2016, so schilderte es Antonia Klein, hatte Amnesty International einen umfassenden Untersuchungsbericht über schwere Menschenrechtsverletzungen und die völlig inakzeptable Situation in den Minen der DR Kongo vorgelegt. In Zusammenarbeit mit der im Kongo tätigen Nichtregierungsorganisation Afrewatch hatten Mitarbeiter von Amnesty (sog. researcher) Minen aufgesucht und dort die Arbeiter, unter ihnen auch Kinder, nach den Arbeitsbedingungen gefragt. Konfrontiert mit dem Bericht und aufgefordert, die Bedingungen in ihren Lieferketten aufzudecken, Risiken für die Menschenrechte zu identifizieren und wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen, lehnten die profitierenden Unternehmen, u.a. Apple, Samsung und Microsoft, jegliche Verantwortung zur Umsetzung der OECD-Leitlinie ab und machten keine Angaben zur Herkunft sowie zum Abbau und Handel des von ihnen verarbeiteten Kobalts.

Amnesty recherchierte und dokumentierte in den folgenden zwei Jahren weiterhin die katastrophalen Zustände in der Kobaltlieferkette. In dieser Zeit fanden auch in mehreren Städten Protestaktionen von Amnesty-Mitgliedern statt, in denen ein Stopp der Ausbeutung von Kindern in der Minenarbeit gefordert wurde.

Im November 2017 präsentierte Amnesty International dann einen Folgebericht „Time to Recharge“ (hier zum Download) mit Untersuchungsergebnissen zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht der Unternehmen in der Kobaltlieferkette. Dazu war bei 29 ausgewählten Unternehmen schriftlich eine Befragung durchgeführt und anhand einer 4-stufigen Skala ausgewertet worden. Angefangen bei den Schmelzereien / Raffinerien bis zu den verarbeitenden Unternehmen und Geräteherstellern wurde um Auskunft darüber gebeten, woher das Ausgangsprodukt Kobalt bezogen würde, wie Strategien aussähen, um Risiken hinsichtlich der Menschenrechte festzustellen, welche Menschenrechtsverletzungen identifiziert werden konnten, ob diese Informationen öffentlich zugänglich gemacht wurden und mit welchen Gegenmaßnahmen reagiert wurde.

Stellenweise gab es zwar Verbesserungen. So konnten bei einigen Firmen wie z. B. bei Apple und Samsung, d. h. bei Firmen, die kritische Endkunden haben, Bestrebungen gegen Kinderarbeit vorzugehen festgestellt werden. Batterie- und Akkuhersteller reagierten jedoch nicht, E-Auto Hersteller nur in geringem Maße.

In der Gesamtbewertung schnitten alle bzgl. der Lieferketten untersuchten Unternehmen schlecht ab, darunter – um nur einige zu nennen – Batteriezellenhersteller wie z.B. LG und Samsung, Hersteller von Computern und Unterhaltungselektronik wie Apple, Dell, HP, Lenovo, Microsoft, Samsung und Vodafon oder auch Produzenten von Elektroautos wie BMW, Daimler, Fiat und Volkswagen.

Als Fazit der Untersuchung erklärte Amnesty International damals: Kein einziges dieser Unternehmen kommt seiner Sorgfaltspflicht in der Kobaltlieferkette in angemessener Weise und gemäß internationalem Standard nach. Amnesty International fordert daher eine verpflichtende gesetzliche Grundlage zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht der Unternehmen.

In der DR Kongo stellt jedoch der handwerkliche Kleinbergbau die Lebensgrundlage für gut 2 Millionen Menschen dar. Der Staat Kongo ist hier seinerseits in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen für die Minenarbeiter entscheidend zu verbessern, d.h. mehr Sicherheit, Schutzausrüstung und eine faire Entlohnung zu gewährleisten sowie die Kinderarbeit auszuschließen. Die frei zugängliche Schulbildung für alle Kinder und Jugendlichen muss hingegen gesichert werden.

Es ist zu hoffen, dass zunehmender öffentlicher Druck ein Umdenken in den Unternehmen bewirkt. „Seien wir also wachsam!“, mahnte die Referentin.

19. November 2021