Der 21. März wurde 6 Jahre nach dem „Massaker von Sharpeville“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als „Internationaler Tag gegen Rassismus“ zum Gedenktag erklärt. Im Jahr 1960 waren an diesem Tag in der südafrikanischen Stadt Sharpeville bei Johannisburg zahlreiche Menschen bei einer Demonstration gegen die Apartheitsgesetze von Polizisten durch Schüsse getötet und verletzt worden. Mit der Kampagne „Gemeinsam gegen Rassismus“ wirbt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International für ein Engagement gegen Ausgrenzung und Diskriminierung sowie eine kritische Auseinandersetzung auch mit verdeckten eigenen Vorurteilen.
Was genau ist Rassismus? In welchen Situationen und wie äußert er sich? Worin besteht Diskriminierung? Bereits seit ihrer Gründung vor fast 40 Jahren beschäftigt sich auch die Gruppe von Amnesty International in Gelnhausen mit diesen Fragen.
Die Besorgnis erregende Zunahme der rassistischen Gewalt bis hin zum brutalen mehrfachen Mord, wie sie sich z.B. kürzlich in Wächtersbach, Halle und Hanau Bahn brach, macht auf unmissverständliche Weise deutlich, dass wir uns diesen Fragen gründlich stellen müssen.
Oft hört man in der öffentlichen Debatte, solche Gewaltakte seien die Taten von einigen wenigen „Extremisten“ und hätten folglich keinen Bezug zu Einstellungen und Verhaltensweisen der Allgemeinheit. Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass sich die Diskriminierung von Menschen in grausamer Weise so offen gewalttätig äußern kann, wenn sie durch eine extremistische Denkweise motiviert ist. Angehörige von Minderheiten erfahren diese Angriffe z.B. wegen ihres „anderen“ Aussehens, ihrer Zugehörigkeit zu einer „fremden“ und damit als bedrohlich empfundenen Kultur und wegen ihrer Pflege von „abweichenden“ Traditionen.
Aber die Diskriminierung von Menschen geschieht auch ohne rohe Gewalt und extremistische Elemente im „ganz normalen Alltag“ oft unbeabsichtigt und durch Nachlässigkeit. Hier gilt es, sich mit den zugrunde liegenden, noch unbewussten inneren Anteilen auseinander zu setzen, um so jeder Art von potenziell möglicher Feindseligkeit von vornherein den Nährboden zu entziehen.
Mitglieder der Amnesty-Gruppe Gelnhausen suchten in den Main-Kinzig-Kreis zugezogene und seit Jahren hier lebende Personen mit unterschiedlichen Biographien auf, um sie nach ihren Erfahrungen in unserer Gesellschaft zu fragen. Sie wurden gebeten, sich dazu zu äußern, inwieweit sie sich hier angenommen und respektiert fühlen. Beispielhaft seien hier die Eindrücke und Überlegungen von drei Personen dargestellt:
Said F., Physiotherapeut
Said F. wurde im Senegal geboren und lebt seit 1989 in Deutschland. Damals war er mit einer Deutschen verheiratet, deren Familie ihn freundlich aufnahm. Auch in seiner Arbeitsumgebung fühlte er sich stets wohl. Dennoch erlebte er eine Reihe von Situationen, die ihm zu verstehen gaben: „Du gehörst nicht zu uns.“ Trat er zur Erledigung von Formalitäten zum Beispiel in einer Behörde zusammen mit seiner Frau auf, wandten sich die Mitarbeiter dort nur an sie, während er dann im Nachhinein gefragt wurde, ob er dem Gespräch hätte folgen können und den Sachverhalt verstanden hätte.
Nach der Geburt ihrer beiden Kinder suchte das Paar eine neue Wohnung. Nachdem seine Frau eine geeignete Wohnung gefunden hatte, wurde sie mit der Vermieterin schnell handelseinig. Vor der endgültigen Entscheidung zur Miete vereinbarten Said F. und seine Frau mit der Vermieterin nochmals eine gemeinsame Besichtigung der Räumlichkeiten. Bei dieser Begegnung zeigte sich die anfangs so interessierte Vermieterin sehr abweisend und äußerte lediglich kurz angebunden: „Ich vermiete nicht an Schwarze“.
Er sei bei Behörden und bei der Polizei zuweilen herablassend behandelt worden und hätte auch manchmal eine unterschwellige Aggressivität wahrgenommen, so führte Said F. weiter aus, unterstelle jedoch den Menschen in seiner Umgebung im Allgemeinen keine Böswilligkeit oder rassistische Überzeugungen. Das Problem bestände eher in den in diesen Äußerungen zutage tretenden unbewussten Einstellungen, die jedoch von den hiervon Betroffenen als ausgrenzend wahrgenommen würden.
Eines Tages will Said F. In den Senegal zurückkehren. Dort fühle er sich respektiert, sagte er.
Atoussa S., 42 Jahre alt, Psychologin
Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern kam 2015 als Flüchtling aus dem Iran in den Main-Kinzig Kreis. Nach dem anfänglichen Aufenthalt in einem Aufnahmelager fand sie danach in ihrer Gemeinde schnell den Kontakt zu den Mitmenschen. Sie und ihre Kinder lernten intensiv Deutsch, so dass Atoussa S. inzwischen eine Ausbildung macht und ihre Kinder erfolgreich Schulen besuchen.
Sowohl von öffentlicher Seite als auch von der Zivilgesellschaft erfuhr sie große Unterstützung. Nach kurzer Zeit entwickelte sich ein freundschaftliches und herzliches Verhältnis zu ihren Nachbarn. Ausgrenzende Verhaltensweisen lernte sie so gut wie keine kennen. Einige wenige Situationen, in denen man ihr bei Behörden unfreundlich begegnete, führt sie auf die Überlastung der Angestellten dort zurück und nicht auf Merkmale ihrer Person. Als Frau, die aus einem anderen Kulturkreis kommt, bemerkt sie auch heute noch einige Unterschiede im Umgang miteinander, beispielsweise in der Art und Weise, wie persönliche Begegnungen gestaltet werden. Besonders fällt ihr auf, wie anders Gastfreundschaft in Deutschland gelebt wird. Derartige Unterschiede, sagt sie, seien dem unterschiedlichen Verständnis in den verschiedenen Kulturen geschuldet und hätten nichts mit Diskriminierung zu tun. Kenntnisse anderer Kulturen und kritische Selbstreflexion könnten helfen, Missverständnisse zu vermeiden.
Shaker A.O., 47 Jahre, Arzt
Shaker A.O., seine Frau und seine 5 Kinder stammen aus der syrischen Stadt Homs und kamen 2014 nach Deutschland. Zunächst lebte die Familie in NRW nahe Bonn. Dort gehen die Kinder gegenwärtig auch noch zur Schule. Die beiden ältesten sind hervorragende Schüler und werden demnächst das Abitur ablegen; seine Frau macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Zu Anfang, so sagt er, sei die Situation sehr schwierig gewesen, die Familie hätte eine völlig neue Sprache erlernen müssen, sie als Eltern hätten nicht arbeiten dürfen und sie hätten mit den zahlreichen behördlichen Anforderungen zu kämpfen gehabt. Den Kindern gelang es jedoch sehr schnell, sich in der Schule zurecht zu finden, erfolgreich zu lernen und sich wohl zu fühlen. Sie sprechen inzwischen untereinander nur noch Deutsch und haben viele Freunde. Shaker A.O.s Frau fand Aufnahme im Kreis anderer Mütter. Er selbst empfand die Reaktion seiner deutschen Mitbürger an seinem ersten Wohnort nicht als feindselig, jedoch als sehr kühl und distanziert. Erst hier in Hessen sei er freundlich, ja sogar herzlich, aufgenommen worden und er habe durch die engagierte Unterstützung einer Familie aus Gelnhausen eine Stelle als Assistenzarzt in einer Praxis für Allgemeinmedizin im Main-Kinzig-Kreis gefunden. Dort sei Dr. B. voll des Lobes über seine fachlichen und menschlichen Qualitäten.
Shaker A.O. kann auf eine 18jährige Berufspraxis in Syrien aufbauen und blickt deshalb zuversichtlich in die Zukunft, obwohl er noch insgesamt 60 Monate bei verschiedenen Ärzten in deren Praxen mitarbeiten muss, um seine endgültige Anerkennung als Facharzt in Deutschland zu erhalten. Er hofft sehr darauf, dass er und seine Familie als deutsche Staatsbürger hier eine neue Heimat finden.
Die Mitglieder der AI-Gruppe Gelnhausen konnten in den Interviews erfahren, dass es, wenn auch mitunter unter größeren Schwierigkeiten, möglich ist, bei uns, d.h. in einem zunächst fremden Land „anzukommen“ und sich wohl zu fühlen. Sich „angenommen“ zu fühlen ist dagegen um einiges komplizierter. Dazu bedarf es des guten Willens und der Anstrengungen von beiden Seiten, wobei wir uns als Mitglieder der aufnehmenden Gesellschaft bemühen sollten, uns in die Haut der Anderen zu versetzen, unsere Handlungen und Worte daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie verletzen können. Nur mit einer empathischen und solidarischen Haltung unsererseits besteht die Chance, dass sich die Angekommenen auch wirklich angenommen fühlen können.
In diesem Beitrag hat sich die Amnesty-Gruppe Gelnhausen vor allem mit dem sogenannten Alltagsrassismus auseinandergesetzt. Wer sich genauer darüber informieren will und darüber hinaus die Position von Amnesty International zum institutionellen Rassismus und zur rassistischen Gewalt kennenlernen will, findet unter https://www.amnesty.de/kampagne-gegen-rassismus-deutschland interessante Anregungen.
Dieser Beitrag ist (teilweise gekürzt) in den lokalen Zeitungen erschienen.